24. Dezember 1944: Der Angriff der 8th USAAF auf den Einsatzhafen in Merzhausen


Weihnachten 1944. Eigentlich ein Tag der Besinnlichkeit und des Glaubens. Doch dieser Weihnachtstag wird ein schwarzer Tag für das Dorf Merzhausen und den angrenzenden Luftwaffen Einsatzhafen. An diesen Tag greift die 8th USAAF Einsatzhäfen und Flugplätze der Luftwaffe an und bekämft gleichzeitig wichtige Verkehrs- und Bahnknotenpunkte im Reichsgebiet. Damit soll dann auch endgültig die deutsche Offensive "Wacht am Rhein", die sogenannte "Rundstedt-Offensive" ihr Ende finden, die seit Tagen in den Wäldern der Ardennen geführt wurde. Da das Wetter in den letzten Tagen sehr schlecht war, hoffte man nun bei einem fast wolkenlosen blauen Himmel dieses hochgesteckte Ziel zu erreichen. Die Mission wurde bereits im Sommer von Stabsoffizieren der USAAF geplant. Wegen des hohen logistischen Aufwand und der feinen und spezifischen Abstimmungen der fliegenden Einheiten hatte man bisher von dieser speziellen Mission abgesehen. Aber an diesen 24. Dezember 1944 soll der Plan nun umgesetzt werden. Das alliierte Oberkommando hoffte, neben der Zerstörung der E-Häfen auch auf eine große psychologische Wirkung. So sollte die Moral und der Kampfwillen der Deutschen Wehrmacht weiter geschwächt und der zivilen Bevölkerung demonstierert werden, welche erdrückende Übermacht ihnen gegenüber steht. Trotz dieser Masse an Bomber- und Jagdflugzeuge rechnete die Führung der 8th USAAF mit massiven Wiederstand durch die deutsche Luftwaffe. Insgesamt brachte die 8. Luftflotte an diesen Einsatztag 2034 viermotorige Bomber in die Luft um den Plan umzusetzen. Die Kampfflugzeuge wurden geschützt von 818 alliierten Jagdflugzeugen. Es werden fast ausschließlich nur 100 Pfund Sprengbomben mitgeführt wovon jeder Bomber 45 Stück in den Bombenschacht hängen kann. Somit werden 5052 Tonnen Bomben an diesen Tag über Deutschland abgeworfen. Der Angriff selbst soll in drei Großformationen geflogen werden. Die "Force-1", bestehend aus 858 Flugzeugen vom Typ B-17 "Flying Fortress" der 3rd Air Division greifen die E-Häfen in Babenhausen, Zellhausen, Großostheim, Biblis, Rhein-Main sowie Darmstadt-Griesheim an. Sollte der Anflug einzelner Flugzeuge nicht möglich sein haben sie noch vier Ausweichziele. Die "Force-2", bestehen aus 542 Flugzeugen vom Typ B-17 der 1rd Air Division sollen die E-Häfen in Merzhausen, Nidda, Kirch-Göns, Ettinghausen und Gießen bekämpfen. auch hier standen Ausweichziele zur Verfügung, sollten Bomber ihre Ziele nicht angreifen können. Die "Force-3", bestehend aus 634 Flugzeugen vom Typ B-24 "Liberator" sollen Industrie- und Infrastrukturziele beginnend von der Eifel bis hin in den Hunsrück angreifen. Darunter Orte wie Mayen, Cochem, Bitburg, Wittlich und Euskirchen. Auch hier standen Ausweichziele zur Verfügung, sollte der Anflug der Primären Ziele nicht möglich sein. Es war der größte alliierte Einsatz der im gesamten Verlauf des II. Weltkriegs geflogen wurde. Dieser wird in die Geschichte der 8th USAAF als Operation Nr. 760 eingehen.

Einflugrichtung der 8th USAAF am 24. Dezember 1944 gegen E-Häfen der deutschen Luftwaffe.
Quelle: Archiv Autor

Als die ersten fliegenden Festungen (B-17 "Flying Fortress") über Deutschland erscheinen, verlassen die letzten viermotorigen Bomber gerade das britische Festland. Es ist eine riesige Armada, die von Brigadegeneral Frederic Castle angeführt wird. Er befindet sich mit seiner B-17 in der Spitzengruppe. Da der amerikanische Jagdschutz noch nicht bis zur Spitzengruppe aufgeschlossen hat, schafft es die IV. Gruppe des Jagdgeschwader 3 im ersten Frontalangriff vier B-17 zum Absturz zu bringen und weitere fünf so schwer zu treffen, dass sie Notlanden müssen. In einer der abgeschossenen B-17 befand sich auch Brigadegeneral Castle. Er fällt an diesem Tag und damit verliert die 8. amerikanische Luftflotte einen ihrer fähigsten Kommandeure. Wenige Zeit später ist der amerikanische Jagdschutz zu Stelle und drängt die angreifenden deutschen Jagdflieger ab.

"...Bombs away!" Bild vom Bombenabwurf am 24.12.1944 der 303 BG - "Hells Angels" zur späteren Auswertung der Trefferlage auf den Einsatzhafen in Merzhausen
Quelle: Luftbilddatenbank Dr. Carls GmbH

Auswertung der Trefferlage vom Angriff am 24.12.1944
Quelle: Luftbilddatenbank Dr. Carls GmbH


Der Bomberverband fliegt weiter und kommt unterhalb Aachens in das Reichsgebiet. Wenig später ist die "Force-2" der 8th USAAF über ihren Zielgebieten. In wenigen Augeblicken bricht am Boden die Hölle los. Über den Einsatzhafen Merzhausen beginnt um 13:30 Uhr der Angriff in drei Wellen. Insgesamt fliegen 198 Flugzeuge diesen Einsatz und werfen etwa 650 Sprengbomben ab. Die erste Wellen wird geflogen von der 303 BG, den "Hells Angels". Ihnen flogt die 379 BG und zum Schluss fliegt die 91 BG ihren Angriff auf den E-Hafen. Große Teile der Anlage werden fast vollständig zerstört. Auch das Flugfeld nimmt ordentlich Schaden. Nicht ein einziges Flugzeug schafft es im Alarmstart den Platz zu verlassen. Piloten und Flugplatzpersonal versuchen noch die restlichen Flugzeuge weiter in den Wald zu bringen, aber ohne Erfolg. Die Bomben zerstören oder beschädigen fast 70% der Flugzeuge und Gebäude auf den Einsatzhafen. Es werden fünf Soldaten getötet und mindestens 11 weitere verwundet. In der zweite Welle des Angriffs treffen die Bomberflugzeuge mit über 30 Bomben das nahe gelegene Dorf Merzhausen. Eine ebenso große Anzahl an Bomben (ca. 40 - 60 Bomben) geht auf umliegende Felder nieder. Viele Häuser werden zerstört oder gehen in Flammen auf. Wie durch ein Wunder wird kein Bewohner von Merzhausen getötet. Zwei Personen werden verschüttet und können später, mit leichten Verletzungen aus den Trümmern geborgen werden. Aber viele der lebenswichtigen Nutztiere wie: Pferde, Kühe und Schweine werden Opfer des Bombenangriff. Vier der Bomben die den Ort treffen sind sogar Blindgänger. Als die Nacht einbricht, stehen noch immer weite Teile des Dorfes in Flammen. Es steht nicht genügend Wasser zur Verfügung um die Brände zu bekämpfen...

 

"...Bombs away. Round three!" Bild der dritten Angriffswelle durch die 91 BG auf den E-Hafen in Merzhausen.

Die Bombentreffer in Merzhausen sind ebenfalls gut zu erkennen. Das Dorf brennt. Rauch steigt auf.
WICHTIG: Die graue Schraffierung wurde zum besseren erkennen des E-Hafen aufgebracht. Diese war nicht im originalen Bild.
Der schwarze Text und die Markierungen wurden durch die Bildauswertung der USAAF auf das Bild aufgebracht!
Quelle: Luftbilddatenbank Dr. Carls GmbH


Nachfolgend finden Sie einen Bericht von Kurt Weber, der den Angriff als Flakhelfer bei der 4. Flak Abt. 415 miterlebt hat. Damals hatte er die Ereignisse akribisch in sein Tagebuch notiert und später in einen Bericht veröffentlicht. Der hier veröffentlichte Teil bezieht sich aber nur auf seine Berichterstattung zum 24.12.1944.

Luftwaffenhelfer der 4. Flak Abt. 415 wenige Tage nach dem Angriff der USAAF am 24.12.1944 in Merzhausen.
Die Flak Stellung und die Unterkünfte befand sich im westlichen Bereich auf freien Feld. Die Luftwaffenhelfer stehen in einen Bombenkrater, der schon zum Teil mit Erde aufgefüllt wurde.
Kurt Weber ist ganz links im Bild zu sehen. 
 Quelle: Dr. Karl Petry (Der Junge, der seine Handschuhe in den Händen hält) - Archiv Autor
 

(...) An diesem Heilig Abend 1944 sind wir dran! Der Himmel zeigt sich in strahlendem Blau. Es mag etwa 14:00 Uhr sein. Wir haben uns gerade  über unsere Weihnachtspäckchen hergemacht, die uns am Morgen erreicht hatten, als das Dröhnen anfliegender Bomberverbände immer stärker wird. Die Pulks fliegen genau den Platz an, nichts Aufregendes; denn wie oft haben wir solche Überflüge schon erlebt. Tiefangriffe waren viel wahrscheinlicher. An einen Bombenangriff dachten wir eigentlich weniger. Plötzlich ein Rauchzeichen, in dem wir zunächst eine abstürzende feindliche Maschine vermuteten. Dann aber war da ein eigenartiges Rauschen und Scheppern in der Luft und kaum hatten wir Zeit gefunden uns eine notdürftige Deckung zu suchen, als die Bombenteppiche über uns hinweg rauschten und den Platz in eine Hölle verwandelten. Wir krallten uns  in die Erde, soweit das bei dem hart gefrorenen Boden möglich war, zwängten die Schultern auch in die kleinste Rassenfurche, sprangen in die mit Wasser vollgelaufenen und mit einer Eisschicht bedeckten sogenannten „Einmann-Löcher“. Da war nur noch der Druck und das Knallen der zerberstenden Bomben, Rauch, Feuer, Pulverdampf, ein einziges Inferno. Unser Batteriechef sagte später, dass er nicht daran geglaubt hätte, noch jemand heil aus dieser Hölle herauskommen zu sehen. Geschütze hatten Volltreffer, Mannschaften waren zum Teil verschüttet, auch unser Lehrer, der an diesem Tage wohl bei seinen Schülern sein wollte. Das war unsere „Bescherung“! Verwundete Gab es durch herumwirbelnde hart gefrorene Erdbrocken und natürlich auch durch Splitterwirkung.
(…)

Man muss sich über zwei Dinge wundern: über die Präzision, mit der der Platz bombardiert wurde, denn es kam vermutlich in erster Linie auf die Unbenutzbarmachung der Rollfeldes an und das wurde tatsächlich um und um gepflügt, während die am Waldrand abgestellten Maschinen kaum Ausfälle hatten. Eine hohe Rauchsäule an der Nordwestseite des Platzes zeigte lediglich an, dass ein Treibstofflager getroffen worden sein musste. Dann muss man erstaunen, dass nur wenige Menschen zu Schaden kamen, insbesondere bei der Flak, die wir ja nicht am Waldrand, sondern am Anfang, Ende und seitlich der Rollbahn unserer Stellungen hatten und somit die Bombenteppiche voll abkriegten, praktisch ohne wirkungsvolle Deckungsmöglichkeit! Der Flugplatz glich einer Mondlandschaft. Krater an Krater ein wirklich gespenstisches Bild in mondheller Nacht! (...)

 

HINWEIS: Erschienen ist der gesamte Bericht im Nachrichtenblatt für Mitglieder der WILINABURGIA, in der Ausgabe Nr. 152 im März 1980. An dieser Stelle möchte ich mich bei Herrn Eugen Rudolf Ancke, dem Vorsitzenden der Wilinaburgia e.V. bedanken, der mir diesen Artikel für diese Webseite und für mein Buch zur Verfügung gestellt hat!

Ein mit Wasser vollgelaufener Bombentrichter in unmittelbar Nähe der Unterkünfte und der Flak Stellungen.

 Quelle: Dr. Karl Petry - Archiv Autor


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Brief einer Mutter aus Merzhausen an ihren Sohn, über den Angriff am 24.12.1944.
Briefes zum Bombenangriff auf Merzhausen
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Adolf Hitler der sich zum Zeitpunkt des Bombenabwurfes in seinem Führerhauptquartier "Adlerhorst" in Wiesental aufhält bekommt, nach dem das gesamte Ausmaß des alliierten Angiffs klar geworden ist, einen Wutanfall und beschimpft den Reichsmarschall und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Herrmann Göring sowie die gesamte deutsche Luftwaffe als "Feiglinge" und "Verräter am deutschen Volk". Er will das die in der Verantwortung stehenden Personen (Kommandeure, Gruppenführer) noch an Ort und Stelle hinrichten werden, wozu es aber nie kommt.

Dieser 24. Dezember 1944 endet mit der Bilanz, dass 85 deutsche Piloten gefallen, vermisst oder gefangen genommen wurden. Weitere 21 Piloten wurden bei dem Einsatz verwundet. Von diesen 106 Piloten waren zwei Gruppenkommandeure und fünf Staffelkapitäne. Weiter wurde der Kommodore des JG77 (Major Johannes Wiese) verwundet. Mit diesen Zahlen steht auch fest, dass mehr als 12% des gesamten eingesetzten fliegenden Personal an diesem Tag ausgefallen oder umgekommen sind. Dem entgegen stehen 44 von 2034 viermotorige Bomber die von deutschen Piloten abgeschossen wurden. Der Anteil an zivilen Opfern wird wohl für immer eine Dunkelziffer bleiben.

Der Einsatzhafen Merzhausen wird erst am 31. Dezember 1944 wieder halbwegs Einsatzbereit. Am 01. Januar 1945 startet das Jagdgeschwader 2 "Richthofen" wie auch anderen Geschwader der Reichsverteidigung zum Unternehmen "Bodenplatte". Diese militärische Operation wird später in die Geschichte als "Der Untergang der deutschen Luftwaffe" eingehen.